Figurentheater zum SA Terror der Köpenicker Blutwoche 1933
für Menschen ab 13 Jahren
„… dass das Nachbarn waren! Die eigenen Nachbarn! Die sich kannten, wo die Kinder zusammen gespielt haben. Hier ist eine Kleinstadt aufeinander losgegangen, hier sind alle Dämme gebrochen, die eine Zivilisation normaler Weise zusammenhalten. Wo nicht mehr klar ist, wer ist jetzt hier Freund und wer ist Feind. Wie hauchdünn diese Schicht ist! Wie passiert sowas? So schnell!“
Im Juni 1933 werden Hunderte Menschen in Köpenick von der Straße weg oder aus ihren Wohnungen entführt und tagelang gefoltert – es gibt weit über 20 Todesopfer. Überall in Deutschland finden zu Beginn des sogenannten Gleichschaltungsprozesses des NS-Staates Gewalt-Exzesse statt. Es gibt kaum zivile Gegenwehr, Polizei und Justiz können die Opfer nicht schützen oder wollen es in Teilen bereits nicht mehr. Nachbarn werden zu Opfern und zu Tätern. Dieser öffentlich sichtbare eskalierende Terror setzt der pluralen Gesellschaft der Weimarer Republik ein brutales Ende.
Heute werden wir von immer offener auftretenden rechten Netzwerken unter Druck gesetzt. Rechtes Gedankengut ist in zunehmendem Maße präsent und beeinflusst gesellschaftliche Diskurse in seinem Sinne. Der Frühsommer 1933 ist näher an unserer gegenwärtigen Situation und momentan aktueller, als Nazi-Deutschland ab der zweiten Hälfte der 1930er Jahre.
Was ist damals geschehen, wie erinnern wir und was bedeuten die dramatischen Tage vom Juni 1933 für uns heute? Was geschah mit den Angehörigen der entführten, gefolterten und ermordeten Nachbarn, was mit den Ehefrauen, Müttern, Freundinnen, Geschwistern, deren Namen nirgendwo genannt werden? Wie wirkt der Schrecken bis in die 4. Generation nach?
Anhand von Dokumenten aus dem Landesarchiv Berlin und dem Archiv der Museen Treptow-Köpenick, Zeitzeugenberichten und nach eigenen Gesprächen mit Nachfahr*innen der Opfer haben die Künstlerinnen diese Inszenierung speziell für junge Menschen erarbeitet.
Ein Projekt von Stefka Ammon & Susi Claus
Regie: Astrid Endruweit
Spiel: Susi Claus und Astrid Endruweit
Temporäre Denkmal: Stefka Ammon
Puppenbau: Judith Mähler
in Kooperation mit den Museen Treptow-Köpenick
In Erinnerung und Gedenken an die Opfer, deren Angehörige und Nachfahren, stellvertretend die im Stück zitierten O-Stimmen von: Margarete Faulstich, geb. Schmaus, Hedwig Janitzky, Rosemarie Bender Rassmus (Dank an Frau Agathe Conradi für die zur Verfügungstellung des Audiomaterials), Anita Wünschmann und Liddy Kilian
Dank an: all eins e.V., Mellowpark Berlin, Schlossplatztheater Köpenick, Förderverein des ABC Hirschgarten, …
PRESSE
FIDENAPORTAL/ Deutsches Forum für Figurentheater und
Puppenspielkunst e.v.
Von Alina Lebherz:
Wie sich bloß erinnern? Nicht weit vom Ort des blutigen Geschehens entfernt, ringen Susi Claus und Stefka Ammon in der Inszenierung „Wenn alles auseinanderfällt“ um ein Gedenken der Opfer des SA-Terrors 1933 in Berlin-Köpenick und plädieren für Gesprächskreise zwischen den Enkeln der Täter und der Opfer.
In einer schwülen Nacht im Sommer 1933 stand die Sturmabteilung der NSDAP bei Anton Schmaus und seiner Familie vor der Tür. Rief seine Mutter wohl von unten um Hilfe? Oder schrie sie „Schieß, Anton“, wie es später vor Gericht hieß? In jedem Fall leistete Anton Widerstand. Er kam die Treppe herunter, erschoss die drei Männer, die in das Familienhaus eindrangen, und floh. Der 23-jährige junge Zimmermann rannte aufgelöst und weinend bis zum Bahnhof Hirschgarten in Berlin-Köpenick. Hier stellte er sich der Polizei, die ihn tatsächlich zunächst vor der SA zu beschützen versuchte.
„Wenn alles auseinanderfällt“ – so nennen die Figurenspielerin Susi Claus und die Bildhauerin Stefka Ammon ihre Inszenierung, die sich als dokumentarisches Theaterstück die Köpenicker Blutwoche zum Thema nimmt. Nicht weit vom Bahnhof Hirschgarten entfernt, rund 90 Jahre nachdem Anton zu diesem Ort floh, stellen sie sich dem Erinnern. Sie suchen nach einer Art und Weise über das Schwere zu sprechen. Bis zu 500 Menschen bedrohte und folterte die SA in dieser einen Woche. Mindestens 25 von ihnen wurden dabei getötet oder starben an ihren Verletzungen. Anton war einer von ihnen.
Eine mitreißende Stärke entfaltet die Inszenierung in solchen Momenten, in denen die Figurenspielerin Claus persönlich wird und die Vergangenheit in die Gegenwart holt. Sie sei in Köpenick aufgewachsen, erzählt sie. Vieles habe sie gar nicht gewusst! Sie redet emotional und nahbar. In ihrer Stimme liegt oft Wut. So entsteht eine ehrliche Entrüstung, die sich auch auf das Publikum überträgt. Währenddessen wird am Rande der Inszenierung von der Bildhauerin Ammon schweigend ein Denkmal aus kaputten Stühlen gebaut. Es sei nicht leicht gewesen diese Stühle im Vorfeld zu zerbrechen, erzählt Claus ganz nebenbei. Mit wie viel Brutalität diese also damals auf den Rücken von Köpenickern zerschlagen worden sein müssten!
Wie konnte es passieren, dass Nachbarn zu Folterern und Mördern ihrer früheren Spielkameraden wurden? In einer Nachbarschaft, die sich doch als eine „große Familie“ begriffen hatte? Dies sind die zwei, zugegebenermaßen sehr komplexen, Leitfragen der Inszenierung, die jedoch trotz aller Anschaulichkeit und vieler direkter Zitate von Zeitzeuginnen, leider kaum beantwortet werden. Dass die Zeitzeuginnen in der Inszenierung Puppen sind, ihre Gesichter also abstrakter als die von menschlichen Schauspielerinnen, ermöglicht eine Distanz, durch die das Unaushaltbare aushaltbarer wird bei einem gleichzeitig höheren Identifikationspotenzial mit ihnen. Dennoch bleibt es schlussendlich bei einem fassungslosen Unverständnis über diese Zeit, dem bekannten „Nie wieder“ und einem Apell nach Gesprächskreisen zwischen den Enkeln der Opfer und denen der Täter in Köpenick.
Die Idee der Gesprächskreise, zu denen dann auch direkt im Anschluss eingeladen wird, ist gut. Doch bereitet die Inszenierung diese nur einseitig vor, indem sie in erster Linie die Opfer der Köpenicker Blutwoche in den Mittelpunkt stellt. Sich auf die Angehörigen der Opfer zu konzentrieren, hat gute Gründe. Doch muss hinterfragt werden, ob die Inszenierung sich damit in eine deutsche Erinnerungskultur einreiht, die hauptsächlich über die Opfer redete, damit die Täter:innen nicht zur Rechenschaft gezogen werden mussten, wie beispielsweise der jüdische Schriftsteller Max Czollek kritisiert. Menschen können zwei Mal sterben. Ein zweites Mal, wenn sie vergessen werden, so heißt es. Doch können, fragt Czollek, auch Täter:innen zwei Mal davonkommen?
Gleichwohl bürstet die Inszenierung die vorherrschende deutsche Erinnerungskultur gegen den Strich. Zum einen indem sie sehr eindrücklich zeigt, dass aktiver Widerstand gegen den Nationalsozialismus in Deutschland in der Regel nicht aus der bürgerlichen Mitte heraus, sondern aus kommunistischen und sozialdemokratischen Kreisen kam. Zum anderen, indem sie auch aus der Perspektive eines Landes erinnert, das im deutschen Erinnerungsdiskurs oft unterschlagen wird: das Der Deutschen Demokratischen Republik. Wie Anton und seine Familie in einem Staat erinnert wurden, der sich selbst offiziell als „antifaschistisch“ verstand, und welche Erinnerungskämpfe um Antons öffentliches Gedenken mit der Wende im Jahr 1989 ausgetragen wurden, zeigt die Inszenierung eindrücklich.
Unter den Trümmern solcher vergangener und aktueller Erinnerungskämpfe sind sicherlich noch viele weitere erzählenswerte Geschichten vergraben. Gut, dass Ammon und Claus einen Anfang machen, diese auszugraben.“
von Mathias Kleinschmidt/ Der Köpenicker:
„Da kommt viel zusammen an diesem 20.Juni in Köpenick-Hirschgarten: Das Kulturhaus ABC als Spielstätte ist wieder in Betrieb. Im Internet ist es noch tot. Seit 11 Jahren. Dank der Initiative von Köpernickern fängt es jetzt wieder an zu leben. Die Premiere fand im Garten statt: auf unserer Waldbühne, wie Susi Claus, die Puppenspielerin scherzhaft bemerkte.
Dank der letzten Starkregen war alles üppig grün, die Vogelwelt goutierte alles tirilierend.
Unter den Besuchern, darunter zwei Frauen, Nachkommen der Familie Schmaus. Vater Schmaus wurde in seinem Haus am 21.Juni von SA-Männern getötet. Anton Schmaus starb an den Folgen von Schussverletzung und Folterung am 16.Januar 1934.
Und damit sind wir bei dem Thema, dem sich die Regisseurin Astrid Endruweit, Puppenspielerin Susi Claus und Bildhauerin Stefka Ammon stellten: der Köpenicker Blutwoche vom 21. – 26.Juni 1933.
Genauer: unserem Umgang mit dieser Vergangenheit. Wer weiß schon davon! Was wissen wir schon von diesem in seinem Ausmaß singulären Verbrechen am Beginn der Naziherrschaft. Und sie fragen mit dem Stück noch genauer: Wie konnte das im kleinstädtischen Köpenick passieren? Man kannte sich doch. Die Kinder von Tätern und Opfern gingen in dieselbe Schule. Und: Wenn es alle mehr oder weniger mitbekommen haben, wo blieb der Aufschrei danach? „Wie hätten Sie den gehandelt?“, fragt die Puppe uns.
Mit diesem Stück wird gute Aufklärungsarbeit geleistet. Und noch mehr. Weil es auch fragt: Haben wir einen Plan zu reagieren, wenn das Rechte Böse heute privat und organisiert um die Ecke kommt? Das alles lässt uns nicht in Ruhe.
Wie gut, dass es solcherlei Theater gibt: hoch politisch, tief in der Gegenwart und Vergangenheit stehend – aus der Region kommend und für die Region spielend. Das ist so wohltuend fern von so moralisch modern daherkommendem Diskurstheater oder Allerweltsdekonstruktion und Bauchnabelschau.
Das Puppenspiel beginnt beiläufig und erschreckend. Beiläufig, weil die Puppenspielerin Susi Claus mit dem Publikum redet. Dann wird einfach das Mikroport angemacht – und schon sind wir drin.
Erschreckend, weil eine kopflose Frauenpuppe auf der Tapeziertischbühne sitzt. Dann hält die Puppenspielerin den Kopf der Puppe hoch und guckt ihn an wie weiland Hamlet den Totenschädel von Yorrick. Plötzensee-Assoziationen kommen hoch.
Und überhaupt: Die Puppen! Gebaut von Judith Mähler. Die Puppen können so einiges: uns anschauen, über uns hinweggucken ins Nichts der Geschichtsvergessenheit, ins Nichts des menschlichen Grauens und in die Ferne des Widerstehens bis zu allen Horizonten.
Die sprecherische Wandlungsfähigkeit der Darstellerin ist enorm: alte Frau lesend oder Statements sprechend, junges Mädchen. Wunderschön sind die Momente der nonverbalen Aktionen und Reaktionen. Wenn sich die Puppe über die Puppenspielerin wundert und umgekehrt. Oder wenn die Puppe den Vögeln lauscht oder den zwei Passanten hinterherguckt. Oder wenn die Puppe hilft, die Soundtechnik zu schalten.
Das alles ist sehr transparent inszeniert. Keine Zauberei, kein Verstecken. Die Puppenspielerin und die Bildhauerin sind sehr kenntlich als Personen. Sie verschwinden nicht hinter den Puppen. Sie wollen wahrgenommen werden als homo politicus, der verändern will und alles Neurechte weghaben will.
Parallel zum Puppenspiel schraubt die Bildhauerin ein Denkmal am linken Rand aus zerdroschenen alte Saalbestuhlungen zusammen, versehen mit korrespondierenden Texttafeln.
Das Gespräch miteinander danach ist gewollt und fand auch einigermaßen ausführlich statt.
Dann regnete es.
Auf dem Rückweg fuhr ich übers Forum nachhaus ins Wendenschlossviertel, nicht ohne am Denkmal der Blutwoche im „Mecki“ haltzumachen. Ein frischer Kranz war abgelegt im Gedenken vom „Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold“. Ich wusste nicht, dass sie noch aktiv sind. Die Schmaus-Männer waren Reichsbanner, der Schutztruppe der SPD. Sie lieferten sich in den späten 20ern und darüber hinaus Saalschlachten mit den den Schutztruppen von KPD und NSDAP: Rotfrontkämpferbund und SA. Mit ebenjenem Stuhltyp, der im Moment der Aufführungen Denkmal wird.
Ich hoffe, dass aus dem Theaterbesuch heraus durchaus Aktionen werden, die bekanntmachen, wer sich alles nach der politischen Wende 1989 an der Nivellierung des Gedenkens an dieser grauenhafte Episode beteiligt hat: Berliner Politiker, ein gutachtender FU-Professor und und und…
Besuchen Sie das Theaterstück. Machen Sie Werbung dafür. Das wäre schon eine Aktion.“
ZUSCHAUERSTIMMEN
„Ich habe das große Glück, als bildende Künstlerin in einem Atelier in Köpenick arbeiten zu dürfen, ruhig gelegen, paar Schritte von der Spree und eine Tramstation von der Altstadt mit ihrem historischen Flair entfernt. Das nervöse Berlin scheint hier weit weg, ich komme zu mir, zum Fühlen und Nach-Denken und Arbeiten. Köpenick hat so für mich eine ganz bestimmte Aura des Aufatmens in einer atemlosen Zeit und Stadt.
Jedoch gehabt. Denn Wenn alles auseinanderfällt, diese kluge Performance, die mit Elementen des Puppenspiels und schöner Nähe zum Publikum arbeitet, ein Projekt der Bildhauerin Stefka Ammon und der Puppenspielerin Susi Claus im Köpenicker ABC-Hirschgarten unter der Regie von Astrid Endruweit, läßt meinen Atem stocken. Ein Kloss im Hals. Eine Trauer. Ein Erschrecken. Das ich nur zu gut kenne beim Nachdenken und Arbeiten zu den Themen Nationalsozialismus und Holocaust, zu Gewalt und Verrohung. Was hier im scheinbar so idyllischen Köpenick in der Blutnacht 1933 geschah, wird durch die berührende Aufführung dem Geschichtsvergessen je entrissen. Es ist die Direktheit, mit der das Publikum angesprochen wird, der wunderbare Kunstgriff, Zeitzeuginnen durch Puppen sprechen zu lassen auch im Zwiegespräch mit der Puppenspielerin, die immer wieder Fragen an das Publikum stellt. Antworten bleiben offen. Nachdenken, Nach-Denken. Während Stefka Ammon aus zertrümmerten Saalstühlen – schon der Anblick der geborstenen Holzbeine versetzt mir Schmerzen – eine Skulptur baut. Bilder der gejagten, gefolterten, verschleppten und ermordeten Köpenicker Frauen und Männer, die dem Naziterror widerstanden haben, bleiben, verbinden sich nun mit meiner Projektion vom ach so lauschigen Köpenick, reißen das idyllische Bild auf, vervollständigen es.
Aber dass die vormals nach den Widerstandskämpfern Johann und Anton Schmaus benannte Schule seit 19.Hauptmann-von-Köpenick-Schule heißt, ist aus meiner Sicht unverzeihlich, enttäuscht mich zutiefst.
Wunderbar und tröstlich die Aufmerksamkeit und das Interesse der Jugendlichen, die am regnerischen Tag der Veranstaltung dem besonderen Stück aufmerksam folgten.“
von Antonia Bisig
„… durch eine geschickte Dramaturgie, Verfremdung und präzisem Zusammenspiel von biographischem Theater, Installation und Puppenspiel wird es hier geschafft, eine fast körperliche Präsenz dieser grauenvollen Machtdemonstration des beginnenden NS Terrors, wie es die Köpenicker Blutwoche 1933 zeigte, herzustellen. Gleichzeitig bietet die Inszenierung eine Plattform, um mit ZuschauerInnen und Ensemble im Anschluss der Aufführung über das Unerklärliche, wie fehlenden zivilen Widerstand und Nachbarschaftsgrausamkeiten, ins Gespräch zu kommen. Darüber waren wir sehr dankbar, denn darauf kommt es wohl an, im Miteinander Wirkmechanismen und Ursachen für Ausgrenzungen zu erkennen. Die Macht der Nazis war im Juni 1933 noch nicht etabliert und stabilisiert. Die Köpenicker Blutwoche zeigte, wie offenbar schon vor der Machtübergabe ideologisch Angstfelder strukturiert wurden.
90 Jahre nach dieser Grausamkeit haben wir zwar grünes Gras in Deutschland, aber darunter immer noch arschbraune Erde. Und darum sind solche Arbeiten, wie Eure Inszenierung sehr wichtig, um immer wieder für Aufregung zu sorgen und im Kontakt zu bleiben. Kompliment für Euren Mut und Eure Haltung.“
von A.G.
die Produktion wurde gefördert durch Recherchestipendien des Berliner Senats für Kultur und Europa- Darstellende Künste 2021 und Bildende Kunst 2022; sowie des Fonds Darstellende Künste e.V. 2022; Projektfond Kulturelle Bildung Land Berlin und Bezirksamt Treptow-Köpenick
Vorstellungen 2024 gefördert durch das KiA-Programm der Berliner Senatsverwaltung für Kultur und Europa/ Bezirksämter Treptow-Köpenick, Spandau, Lichtenberg und Pankow